„Schulstreik“ oder Schulpflicht?

Mit dem nachfolgenden, bereits per ESIS an alle Eltern versandten Schreiben möchte die Schulleitung des Gymnasiums Stein ihre Haltung zu den Demonstrationen während der Unterrichtszeit erläutern.

Wir sind grundsätzlich der Ansicht, dass das Anliegen der Kinder und Jugendlichen, die an diesen Demonstrationen teilnehmen, berechtigt und wichtig ist; sie sind auch ein Ausdruck dafür, dass die politisch Verantwortlichen sich dieses Zukunftsthemas über Jahrzehnte hinweg nicht ernsthaft und zielgerichtet angenommen haben. Dass junge Menschen sich angesichts immer wiederkehrender bloßer Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden über unzureichende Klimaschutzmaßnahmen erregen, ist verständlich, und es ist auch in gewisser Weise ein Vorrecht der Jugend, ihrem Protest über empfundene Missstände und Ungerechtigkeiten in einer Weise Luft zu machen, die uns abgeklärten Erwachsenen mitunter etwas zu emotional und überschwenglich erscheinen mag. Wir haben aus diesem Grund bei den ersten Aktionen dieser Art im Januar auf das Fernbleiben von 50 Schülern aus den Jahrgangsstufen 10-12 vom Unterricht nicht mit den für unentschuldigtes Fehlen sonst üblichen Disziplinarmaßnahmen (Verweise etc.) reagiert, sondern die Beteiligten aufgefordert, in einem Aufsatz ihre persönlichen Beweggründe und Eindrücke von der Demonstration darzulegen. Die eingereichten, zum Teil sehr ausführlichen und sorgfältig formulierten Schülerarbeiten haben für uns auch belegt, dass es den Teilnehmern an der Aktion ein ernsthaft empfundenes und sie bewegendes Anliegen war.
Wir sind aber andererseits auch der Überzeugung, dass die Terminierung dieser Aktionen während der Unterrichtszeit für uns aus mehreren Gründen nicht akzeptabel ist. Sie setzt nicht nur ohne jede Notwendigkeit die beteiligten Schüler dem (meist, aber sicher nicht in jedem Einzelfall unbegründeten) Verdacht aus, dass es ihnen vorrangig um Unterrichtsausfall geht, und instrumentalisiert die Schulen für ein politisches Problem, das die Schulen selbst nicht zu verantworten haben. Der reguläre Schulbetrieb wird massiv beeinträchtigt, um für ein politisches Anliegen größeres öffentliches und mediales Interesse zu erregen, für ein Anliegen, das an sich für jedermann so ernsthaft und zukunftsrelevant sein sollte, dass es dieses zusätzlichen und künstlich erzeugten Erregungszustands nicht bedarf.
Etliche der in den Medien in den letzten Wochen verbreiteten Stellungnahmen scheinen uns auch weniger von der Sorge um Klimaschutzmaßnahmen als von tief sitzenden Ressentiments gegenüber der Schule an sich geprägt zu sein. Wir bezweifeln insbesondere, dass unsere Schüler auf diesen Demonstrationen mehr über klimapolitische Zusammenhänge und Hintergründe lernen als im Geographie- und Sozialkundeunterricht an der Schule. Die Annahme, es mache wohl keinen nennenswerten Unterschied, ob Schüler an Freitagen am Unterricht teilnehmen oder nicht, empfinden wir durchaus als Geringschätzung unserer Arbeit.
Bezeichnenderweise konzentriert sich die öffentliche Diskussion ausschließlich auf Schüler. Gleichaltrige Jugendliche, die in einem Ausbildungsverhältnis stehen, können aber nicht während ihrer Arbeitszeit ein politisches Streikrecht beanspruchen, ihren Arbeitsplatz unentschuldigt verlassen und an diesen Demonstrationen teilnehmen. Sie müssten wohl sofort mit einer Abmahnung und spätestens im Wiederholungsfall mit der sofortigen Kündigung rechnen.
Hinzu kommt, dass die Teilnahme an solchen Aktionen während der Unterrichtszeit auch praktische, rechtliche Probleme aufwerfen kann, auf die wir Sie ausdrücklich hinweisen möchten. In diesen Fällen besteht kein Schutz der Schülerunfallversicherung, weder während der Veranstaltungen
noch auf dem Weg dorthin und von dort nach Hause.
Wir werden aus den genannten Gründen deshalb für künftige Demonstrationen grundsätzlich keine Schulbefreiungen ausstellen und auch keine „Unterrichtsgänge“ ganzer Klassen genehmigen. Unentschuldigtes Fehlen wegen der Teilnahme an solchen Aktionen werden mit den üblichen Ordnungsmaßnahmen geahndet, und die gängigen Regelungen zu unentschuldigtem Fehlen bei angekündigten Leistungsnachweisen gelten selbstverständlich auch in diesen Fällen.
Wir sehen es als Bildungseinrichtung als unsere Verantwortung an, auf der Erfüllung der Pflicht zum Schulbesuch zu bestehen und die Teilnahme am Unterricht nicht davon abhängig zu machen, ob nach individuellem persönlichen Ermessen eine gleichzeitig stattfindende Veranstaltung
wichtiger ist. Gleichzeitig sehen wir es als unsere wichtige Aufgabe an, unsere Schüler zu mündigen Staatsbürgern und politisch engagierten Demokraten zu erziehen – wie viele Aktivitäten an unserer Schule seit Jahren belegen. Eine Teilnahme Ihrer Kinder an Aktionen, die sich wichtigen Themen wie beispielsweise dem Klimaschutz oder dem Engagement für soziale Belange widmen, begrüßen wir ausdrücklich, sofern sie außerhalb der Unterrichtszeit stattfinden.